Wie verstehen Kleinkinder die Zeit?

Im letzten Blogpost wurde ein kurzer Überblick gegeben, wie Kinder Zeit wahrnehmen und sich ihr Verständnis dafür im Laufe ihrer Entwicklung verändert. In diesem Artikel werdet ihr mehr darüber erfahren, wie Kinder ab ihrer Geburt und bis ins Kleinkindalter (also von 0 bis 4 Jahren) Zeit erleben und verstehen.

Welches Zeitverständnis haben Kinder im Alter von 0 bis 2 Jahren?

Die Welt von Neugeborenen ist grundsätzlich ein Wirbel aus Sinneseindrücken und Gefühlen. Um mit all diesen verschiedenen Eindrücken gut zurechtzukommen, ist es sinnvoll, Routinen in den Alltag des Babys zu bringen, da diese helfen, seinen natürlichen Körperrhythmus zu entwickeln, also beispielsweise regelmässige Schlaf- und Essrhythmen. Insbesondere in den ersten sechs Monaten ist es deshalb wichtig, schnell auf Bedürfnisse des Babys einzugehen, also es zu füttern, wenn es hungrig ist oder es zu trösten, wenn es weint. Anschliessend sind Vorhersehbarkeit und Konsistenz von Ereignissen für Babys und Kleinkinder von grosser Wichtigkeit, um ein Gespür für den Zeitablauf zu erhalten. Dies sind anfangs ganz einfache Dinge, beispielsweise, dass immer nach der Nacht der Tag kommt, wobei es in der Nacht dunkel und am Tag hell ist. Aber auch Routinen im Familienalltag helfen, wie regelmässige Einschlaf-/Aufwachzeiten, das gemeinsame Mittagessen mit dem Mittagsschlaf danach, das Abendessen nachdem Mama oder Papa von der Arbeit nach Hause kommt. Dabei hat jede Familie einen eigenen Umgang mit der Zeit und es spielt keine Rolle, ob sich dieser spezifisch auf die Uhr bezieht oder nicht – in dieser Phase der Entwicklung steht die Zeit im Mittelpunkt und nicht die Uhr. Um dem Kleinkind dabei zu helfen, Routinen zu erkennen, kann man diese im Gespräch erwähnen – zum Beispiel, dass man sich nach dem Abendessen bereit macht fürs Schlafengehen – oder auch Vergangenes rekapitulieren, wie beim Mittagessen darüber zu reden, was man am Morgen gemacht hat.

Der richtige Mix aus Routine und Flexibilität ist entscheidend

Trotz der Regelmässigkeit ist es aber auch wichtig, Flexibilität zu wahren – insbesondere, wenn die Kleinkinder grösser werden und sich ihre Bedürfnisse verändern. Solange nämlich bestimmte Abfolgen im Alltag beibehalten werden (zum Beispiel aufstehen, Frühstück, spielen, Snack, spielen, Mittagessen), bleibt das Kind im etablierten Rhythmus, auch wenn sich die spezifischen Uhrzeiten von Aktivitäten ändern. Von der Flexibilität im Umgang mit der Zeit können dabei auch Erwachsene profitieren. Während wir meinen, zu wenig Zeit zu haben, haben Kleinkinder nämlich noch das Gefühl, alle Zeit der Welt zu haben und lassen sich nicht stressen. Obwohl Kinder natürlich auch lernen müssen, dass Zeit nicht unbeschränkt vorhanden ist, sollte die Uhr dem Kind noch nicht aufgezwungen werden. Wenn also zum Beispiel das Spielen unterbrochen werden muss, weil man zu einem Termin muss, hilft es dem Kleinkind, wenn man ihm dafür genügend Zeit lässt. Gleichzeitig löst man aber auch sich selbst von der fixen Idee, auf die Minute genau los zu müssen und denkt verstärkt in Zeitintervallen anstatt in absoluten Zeitpunkten.

Welches Zeitgefühl haben Kleinkinder im Alter von 3 bis 4 Jahren?

Um ein genaueres Verständnis für Zeit zu entwickeln, orientieren sich Kinder im Alter zwischen drei und vier Jahren immer stärker an Erlebnissen – der eigene Geburtstag, die Schwimmstunde am Mittwochnachmittag, die Gutenachtgeschichte vor dem Einschlafen. Dabei wird vor allem die Gegenwart zeitlich wahrgenommen. Ab diesem Alter ist es sinnvoll, Kinder aktiv in die Gestaltung des Alltags mit einzubinden, sodass sie nebst dem Bewusstsein für die Gegenwart auch die Vergangenheit und die Zukunft zu verstehen beginnen. Die Uhrzeit spielt in diesem Alter immer noch eine untergeordnete Rolle: Solange der Alltag seinen gewohnten Gang geht, können Kinder gut verstehen, was wann passiert, unabhängig von der Zeitdauer einer Aktivität. Am meisten orientieren sich Kinder in diesem Alter an den zeitlichen Konzepten „vor“ und „nach“, so ordnen sie Vergangenheit und Gegenwart ein. Allerdings fällt es ihnen immer noch schwer, Zeitspannen abzuschätzen – wenn ein Kind also „gestern“ sagt, kann es gut sein, dass es sich eigentlich auf ein Ereignis von vor drei Tagen bezieht. Drei- bis Vierjährige verstehen zudem, dass es Zeithilfen wie die Uhr oder den Kalender gibt, können diese aber meist noch nicht interpretieren. Selbst wenn gewisse Uhrzeiten „verstanden“ werden – zum Beispiel, dass es Mittagessen gibt, wenn beide Zeiger gerade nach oben stehen – ist dies eine rein visuelle Orientierung, die Bedeutung von zwölf Uhr wird noch nicht richtig verstanden.

Erste Erfahrungen mit Zeitgefühl werden gemacht

Im Alter von drei bis vier Jahren beginnen Kinder zudem, Zeitbegriffe zu verwenden, zum Beispiel „heute“, „gestern“ oder „morgen“, aber auch Tageszeiten („Mittagszeit“), die Jahreszeiten („im letzten Sommer“) oder Feiertage („an Weihnachten“). Sie können auch ohne Probleme ihr eigenes Alter angeben und verstehen, dass sie einmal jünger waren und älter sein werden. Somit kann man in diesem Alter damit beginnen, Kinder aktiv mit der Zeit vertraut zu machen. Zum Beispiel kann man ihnen 10 Minuten Zeit geben, aufzustehen und sich anzuziehen. So erleben sie anhand einer Aktivität, wie lange also 10 Minuten ungefähr dauern. Wichtig dabei ist aber: Kinder sind zwischen drei und vier Jahren erst dabei, die Zeit zu entdecken und ein Gefühl dafür zu entwickeln. Sie sollten also keinesfalls dafür bestraft werden, wenn sie zeitliche Limiten nicht einhalten! Da das Lesen der Uhr wie erwähnt meist noch zu komplex ist, kann es hilfreich sein, Zeitspannen visuell abzubilden, um die Zeit so für Kinder „sichtbar“ zu machen. So lernen sie bereits im Kleinkindalter, ein Gespür dafür zu entwickeln. Die Überforderung ist aber zu vermeiden: Wenn Kinder im Alter von drei bis vier Jahren noch kein Interesse an der Uhr oder anderen Zeitmessern zeigen, sollte man ihnen diese nicht aufzwingen. Entsteht das Interesse aber, kann man damit beginnen, ihnen das Konzept von Zeit näher zu bringen, wobei spielerische und visuelle Wege am geeignetsten sind.

 

Quellen: 

Miller, S.A.; Booth Church, E. & Poole, C. (2020). Ages & Stages: How Children Develop a Sense of Time.

Sloan, K. (2018). How to Teach Kids the Value of Time

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